Der Cabezon de Condorori mit unserer Route
Bergsteigen in den bolivianischen Anden
Bolivien – ein Land der Gegensätze. Hier laute, lebendige, brodelnde Millionenstädte wie La Paz mit ihrer ansteckenden Lebendigkeit und der einzigartigen, zum großen Teil indigenen Bevölkerung, dort unendliche Weiten und Einsamkeiten auf den großen Salzseen, in den Dschungeln nahe des Amazonasbeckens und den auf hohen Bergen der bolivianischen Anden.
In diesem wundervollen Land, das sich mit seinem Präsident Evo Morales gerade anschickt, die Grenze vom Entwicklungs- zum Schwellenland zu überschreiten (Veränderungen, die einem auf Schritt und Tritt begegnen), durften wir den August 2015 mit unendlich reichen Eindrücken und Erlebnissen in Begleitung unseres Enkels, seiner Mutter und ihres Mannes verbringen. Dass für einen alten Alpinisten bei dieser Reise auch die Berge ein wichtiges Wort mitzureden haben, das war von Anfang an beschlossene Sache. Gut, dass sich in Freising für jede bergsteigerische Aktivität ein Mitstreiter finden lässt – und so war mit dem alten Kletterkameraden Andreas Wenner bald jemand mit dabei, der zusammen mit Sohn Felix auch gerne einmal die höhere Luft der bolivianischen Kordilleren schnuppern wollte. Eine gemeinsame Rotwandreib’n ließ uns einen Rahmen für bergsteigerische Aktivitäten setzen, ohne dass dabei Land, Leute und Kultur Boliviens zu kurz kommen sollten. Beide Familien (Andi mit seiner Frau Birte, den Töchtern Niki und Julia und dem Sohn Felix, ich mit meiner Frau Beate) sollten genug Zeit finden, unabhängig Land und Leute zu erkunden. Zweimal wollten wir uns dann treffen, um einigen hohen Andenbergen aufs Haupt zu steigen. Von diesen beiden Unternehmungen soll hier berichtet werden.
Lange vor der Reise hieß es dann Führer lesen, Karten studieren, aus der unglaublichen Menge von Informationen, die das Internet zur Verfügung stellt, die wirklich wichtigen und fundierten herauszufiltern und in zwei schöne Ziele zu verwandeln. Klar, dass ein Sechstausender bestiegen werden sollte, auch eine etwas ambitioniertere Pickelei sollte dabei sein. Und so kristallisierte sich aus Gründen der Erreichbarkeit und der Infrastruktur zuerst die Condoririgruppe um den malerisch gelegenen See Chiar Khota und danach der „Hausberg“ von La Paz, der 6088 Meter hoch gelegen Huyana Potosi aus der unglaublichen Vielfalt von bergsteigerischen Zielen heraus, die Bolivien zu bieten hat.
Alle Südamerikareisenden kennen ihn, den bösen Gesellen, auch Montezumas Rache genannt, der einen trotz penibelst gewaschener Salatblätter (so man in diesem relativ carnophilen Land denn welche bekommt) immer dann heimsucht, wenn man ihn gar nicht gebrauchen kann. Bei mir war er mit zwei hauptsächlich in einem ruhigeren Örtchen verbrachten Tagen relativ nachsichtig, Beate, meine Frau, hatte es da schon ärger erwischt, sah aber – wie immer – noch sehr gut aus. Wer gar nicht mehr gut aussah, das war Andi, als wir uns zur vereinbarten Zeit am Flughafen von La Paz trafen. Reichlich grün um die Nase und zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, in seinem Aktivitätsdrang leicht gebremst, hatte es ihn richtig bös erwischt – und übermorgen sollte es so richtig hoch hinaufgehen? War doch das Ziel, am nächsten Tag zur Laguna Chiar Khota zu wandern und nach kurzer Nacht dann zum Pequeno Alpamayo aufzubrechen. Tapfer ließ er dann alle Vorbereitungen über sich ergehen, die da waren: Nachverhandlungen mit dem Organisationsbüro führen, welches gemeint hatte, die alemannischen Gringos wie Hühner rupfen zu können, Ausrüstung zusammenstellen und ein letztes Mal Sightseeing in La Paz. Am nächsten Tag ging es dann nach intensiver medikamentöser Behandlung mit einem Kleinbus hinauf nach El Alto, der Millionenstadt oberhalb von La Paz und weiter durch das weite Altiplano zur Condoriri-Gruppe.
Es ist unbedingt ratsam, sich in Bolivien für die höheren Berge Führer zu nehmen. Gelten hier doch durch die Äquatornähe ganz andere Regelmäßigkeiten beim Bergsteigen, als wir es in den Alpen kennen. Das Wetter folgt anderen Gesetzmäßigkeiten als bei uns, die Beschaffenheit der Gletscher ist eine ganz andere als wir es von den Alpen kennen. Viel Erfahrung wäre notwendig, es ganz auf eigene Faust versuchen zu wollen. Zudem gibt es in den hohen Anden praktisch keine Handynetze, von Bergrettung ganz zu schweigen. Romario und Lochio heißen die uns zugeteilten Guides, ein weiterer wird mit dem Rest der Familien in der Zwischenzeit auf Trekkingtour gehen.
Angekommen am Lago Tuni hieß es – nach der landesüblichen Brotzeit mit dem bolivianischen Nationalgetränk (Coca-Cola!) alle Ausrüstung auf einige Esel zu verstauen, also Zelte, Kocher, Essen für drei Tage (das persönliche und bergsteigerische Gepäck wurde ehrenhalber selbst getragen). Und dann ging es schon die paar hundert Höhenmeter zu unserem traumhaft am malerischen See gelegenen „Basislager“. Schnell standen die Schlafzelte, kaum später waren die Esel mit den Gerätschaften für Küchenzelt und Essenszubereitung nachgekommen und so konnten wir recht bald für angemessene Kohlehydratzufuhr für die nächsten Tage sorgen.
Eigentlich stand ja für den nächsten Tag der Pequeno Alpamayo auf dem Programm. Aber Andi war immer noch nicht richtig auf dem Damm, so dass wir kurzfristig umdisponierten: Der Rest der Familien würde sich, wie geplant, auf eine zweitägige Trekkingtour machen, Andi würde – zur Rehabilitation quasi – einen der leichteren 5000er der Gegend, den 5342 Meter hohen Pico Austria, besteigen, während Felix und ich gemeinsam mit Führer Lochio den Cabezon de Condoriri (5648) versuchen wollten. Am Folgetag könnten wir dann immer noch auf den Pequeno Alpamayo steigen.
Schon am späten Nachmittag hieß es deshalb: rein in den Schlafsack, Wecken sollte schon gegen Mitternacht sein. Immerhin schon auf 4800 Meter erwartete uns alle eine recht unruhige Nacht ohne viel Schlaf (wie es Andi weiter unten treffend beschreibt). Nebenbei darf man auch noch verschiedenste Spielarten argen Kopfschmerzes kennenlernen. Und wenn man dann doch leidlich eingeschlafen ist, ist es auch schon Zeit für das viel zu frühe Wecken.
Um kurz nach 2 Uhr geht es dann im Licht der Stirnlampen los. Für Felix und mich ist es der erste Ausflug weit über die 5000 Meter und entsprechend aufgeregt und auch besorgt sind wir. Keiner weiß, wie er auf die Höhe reagiert, haben doch Höhenprobleme definitiv nichts mit der Kondition zu tun. Bei stockdunkler Nacht geht es eine gemein steile Moräne hinauf. Immer wieder weist uns Lochio darauf hin, langsam zu gehen. Und so geht es Schritt für Schritt, immer steiler wird der Hang, es ist ein elendes Steigen über gefrorenen Lehm, immer wieder hechelnd nach der dünn gewordenen Luft, und langsam in einer Steilheit, die ein Ausrutschen nicht mehr ratsam erscheinen lässt. Nach einigen Stunden Schinderei ist dann endlich die Scharte erreicht und wir können den Gletscher betreten. Wieder können wir das Spiel der kurzen Dämmerung in der Nähe des Äquators bewundern – innerhalb kürzester Zeit wird aus stockdunkler Nacht ein herrlicher Sonnentag.
Unser Führer ist uns ein Rätsel. Während wir jede Pause dazu nutzen müssen, uns Tee und Riegel zuzuführen, (das eine oder andere Geelchen ist auch dabei) wird er den ganzen Tag nichts essen und trinken. Erst wieder im Tal, nach 12 Stunden Plagerei, wird er sich seine Brotzeit gönnen – für uns unbegreiflich.
Der Cabezon de Condoriri ist einer der schönsten Berge, die ich kenne. Flankiert von zwei felsigen Seitengipfeln (Il derecho und Il Izquierda – der Rechte und der Linke) reckt er sein eisiges Haupt deutlich höher empor und erinnert in seiner Form tatsächlich an den Kopf eines Kondors – Il Cabezon de condoriri eben.
Und jetzt, nachdem wir dem grauslichen Moränenschlund entronnen sind, kommt tatsächlich eine vibrierende Spannung und Vorfreude auf, diesen Berg tatsächlich besteigen zu dürfen. Über einen weiten, spaltendurchzogenen Gletscher geht es nun stetig aufwärts. Umsichtig sucht unser Führer einen Weg, den Spalten (die nur er genau kennt) geschickt ausweichend. Im Gegensatz zu anderen, oft bestiegenen Gipfeln der Gruppe weist uns keine Spur den Weg. Jetzt wird uns auch der Grund unseres frühen Aufbruchs klar: Wir müssen diesen Gletscher unbedingt vor der Mittagserwärmung wieder hinunter, damit die vielen Schneebrücken, die wir überqueren müssen, auch halten. Stunden um Stunden steigen wir aufwärts, er scheint nicht näher kommen zu wollen, der ersehnte Gipfel – und unnahbar fern scheint er unseren zaghaften Blicken zu sein. Wie soll es denn da hinaufgehen? Endlich am Gipfelaufbau angekommen, zeigt uns der Berg seine Schwachstelle: Ums Eck zieht ein eingeschnittenes Coloir schräg nach oben und vermittelt den Durchstieg zum Gipfelgrat. Am Anfang geht es eine immer steiler werdende Schneerinne empor, die sich verengt und bis zum Grat eigentlich anregende Eiskletterei etwa im Schwierigkeitsgrad WI 3 bietet. Eigentlich… Denn was sich am Sylvenstein oder Jochberg locker wegpickeln lässt, erfordert auf nun schon etwa 5500 Meter schon viel Kraft und Schnauferei. Jetzt zahlt es sich aus, dass wir alle zwei Eisgeräte mitgenommen haben. Felix ist das erste Mal in so einem Gelände unterwegs und es ist unglaublich, wie souverän er das meistert.
Endlich! Der Grat! War bislang der Biancograt eine meiner noch unverwirklichten Wunschtouren, beschließe ich auf der Stelle, dass ich den ab jetzt nicht mehr brauche – wie mit dem Messer geschnitten zieht der SW-Grat unseres Traumberges steil nach oben – ein Wunder aus Schnee und Eis! Sorgfältig sichern wir jetzt den langen Grat, der von einer längeren Mixedkletterei unterbrochen wird.
Links und rechts geht es richtig steil runter und trotz der Höhe macht es Spaß, da raufzuklettern. Immer wieder treibt uns Lochio zur Eile an, wenn wir nach wenigen Klettermetern um Atmung ringen und der Gipfel mag einfach nicht näher kommen. Bei der M3-Stelle müssen wir dann sogar richtig Fels in die Hände nehmen.
Viele viele Atemzüge später: Felix und ich liegen uns in den Armen. Droben – wir haben es geschafft! Der Blick schweift hinüber ins Altiplano, bis weit zum Titicacasee können wir sehen, eine unglaubliche Rundsicht über dieses wunderschöne Land zieht uns in ihren Bann.
Was folgt ist ein langer, langer Abstieg mit einer grauslichen Schinderei über den nun weichen Gletscher, gewürzt mit stets spannenden Überquerungen von diversen Spalten. Zudem beschließen unsere Steigeisen, kiloweise Schnee anzustollen, so dass aus unserer Gangart bisweilen ein arg unbeholfenes Taumeln und Purzeln wird. Selten habe ich ein Tal so langsam näherkommen sehen.
Endlich an den Zelten angekommen, erwartet uns schon der wiedergenesene Andi. Auf seine Frage nach unseren Eindrücken von der Tour verweise ich ihn an seinen Sohn und begebe mich unverzüglich in meinen Schlafsack und falle in einen sehr tiefen Schlaf. Alle Gedanken an den Pequeno Alpamayo am nächsten Tag beantwortet mein Körper mit einem deutlich formulierten: „Vergiss es!“. (Martin Keeser)
Der Schreiber dieser Zeile übergibt nun das Wort an Andreas Wenner:
„Kurzer“ Bericht über die Besteigung des Pequeno Alpamayo
Es sind die Nächte, die einem das Bergsteigen hier verleiden. Ruhig und erholsam schlafen kann man nicht trotz aller Erschöpfung, kaum eingenickt, hört man unbewusst auf zu atmen und wacht wenige Sekunden später mit einem Erstickungsanfall wieder auf, geschuldet einer Anpassungsstörung des Atemzentrums im Gehirn, das sich erst auf den erniedrigten Sauerstoffdruck in großer Höhe umstellen, „akklimatisieren“, muss. Somit wäre es eigentlich nicht so schlimm, um halb zwei mitten in der Nacht (einer Zeit, in der zumindest ein „Spättyp“ eher ins Bett geht …) geweckt zu werden, wenn man nicht aufstehen müsste, hinaus in die Eiseskälte einer stockdunklen Nacht … Unausgeruht, frierend und sich nicht richtig anwesend fühlend, pressen wir ein, zwei Tassen Tee hinein, würgen eine Marmeladensemmel hinunter (wer weiß schon, wann´s wieder Kalorien gibt?), machen uns fertig – ach halt, noch ein Besuch auf dem Klohäusl, ein richtig „luxuriös“ gemauerter Verschlag, denn später in den Moränen oder gar auf dem Gletscher ist man bei fehlendem Sichtschutz hunderte Meter weit öffentlich – auch nicht so ganz angenehm … Also 5 Schichten Oberbekleidung und 4 Unterbekleidung irgendwie koordinieren, nichts unbeabsichtigt ablegen oder gar berühren – zum Glück sieht man im Schein der Stirnlampe nicht ganz so gut.
Endlich ist auch das geschafft, der Tross mit Felix, unseren Guides und mir setzt sich so gegen 3h in Bewegung, halb schlafend trotten wir über Schutt und Steine einer Moränenlandschaft, stetig bergan, einem ungewissen, weil irgendwo in der Nacht liegenden, Ziel namens Pequeno Alpamayo entgegen. Wir sind irgendwie entrückt von Zeit und Raum wie Zombies, unser Denken ist reduziert auf die Durchführung des nächsten Schrittes. Irgendwann ist dann doch der Gletscher erreicht, immer noch stockdunkel seilen wir uns an, kauen an einem trockenen Müsliriegel, montieren die Steigeisen. Und weiter geht´s, jetzt steil hinauf, wir konzentrieren uns stetig zu gehen, aber ja nicht schnell, nur nicht überpowern, ohne Sauerstoff geht´s einem sofort schlecht, zunächst japst man nach Luft, es folgen Schwindel und Übelkeit, und manch einen hab´ ich da auch schon kotzen gesehen …. Es wird immer kälter, die Zehen und Finger sind schon lang gefühllos, die Luft zum Beißen, wenn sie nicht so dünn wäre … Immer weiter. Vorbei an wohl riesigen Gletscherspalten, über schmale, hart gefrorene Brücken, so genau kann man das im schummrigen Kegel der Stirnlampen nicht erkennen, eher nur erahnen, man sieht kaum die Umrisse des Vorangehenden, sonst nichts. So macht Bergsteigen Spaß! Insgeheim beneide ich Martin, der wohl wohlig eingekuschelt in seinem Daunenschlafsack liegen darf. Aber ich wollte es ja so, hatte mich entschieden zu dieser Tour, zuhause am „grünen Tisch“, aber eigentlich hätte ich´s ja wissen können …
Eine unendliche Zeit später und noch einige Minusgrade tiefer beginnt es dann doch noch zu dämmern, Umrisse der umliegenden Berge zeichnen sich ab, ganz weit in der Ferne zieht das Altiplano bis zum Titicacasee. Wir sind der Nacht entkommen. Über einen etwas steileren Firnhang erreichen wir den Pico Tarija (ca. 5300m, die Höhenangaben variieren hier je nach Quelle, so ganz genau scheint´s keiner zu wissen ….), den Vorgipfel unseres Berges. Jetzt ist es auch hell, der Tag ist angebrochen, Sonnenlicht wird sichtbar, aber nur an Nachbarbergen, nicht bei uns, wir bleiben im eisigen Schatten. Über Felsen und kombiniertes Gelände geht es jetzt knapp 100 zuvor mühsam bezwungene Höhenmeter hinab zum SW-Grat des Alpamayo, der sich dann anschließt. Und dieser Grat ist schon schön, das muss man nun doch zugeben, eine elegante, sich in drei Schwüngen auftürmende Firnschneide hoch zur ebenmäßig geformten Gipfelpyramide. Schon wieder muss der Biancograt herhalten als Vergleich in der Literatur… sei´s drum, der Alpamayograt ist mindestens so fotogen, aber von der alpinistischen Herausforderung kann er wohl nicht mithalten, ist er doch auch viel kürzer. Uns kann jetzt nichts mehr aufhalten, höchstens das eine oder andere Foto kostet noch etwas Zeit. Eine steile Blankeisstelle wird mit einer Eisschraube abgesichert, endlich treten wir aus dem Schatten heraus und stehen auf dem Gipfel des Pequeno Alpamayo, 5370m hoch (sagen zumindest einige …) und – in der Sonne. Ich umarme Lochio und Romario und besonders natürlich Felix, es ist schon etwas Besonderes, wenn man seinem Sohn offensichtlich erfolgreich die Liebe zu den Bergen und zum Bergsteigen weitergeben konnte und jetzt gemeinsam auf so einem Gipfel stehen darf. Jetzt ist natürlich alles bestens, alles viel wärmer, man muss nicht weiter hinauf, die Aussicht ist überwältigend, reicht über die ganze Cordillera Real vom Illampu und Ancohuma bis hin zum Illimani. Es ist gerade einmal 8 Uhr, und schon nach einer Viertelstunde am Gipfel bläst Lochio zum Aufbruch: Wo will der denn jetzt schon wieder hin zu einer Zeit, zu der vernünftige Menschen gerade einmal gemütlich frühstücken? Also widersetzen wir uns und bleiben einfach in der Sonne sitzen ….
Irgendwann treten wir dann doch noch zum Abstieg an, der zügig und problemlos vonstattengeht. Auch der Gegenanstieg kostet nicht die letzte Kraft, über die anfangs recht steilen Firnhänge des Gletschers läuft´s wie von selbst hinab. Unten in der Moränenlandschaft mit ihren kleinen Seen und Bachläufen angekommen, gibt´s noch ausgedehnte Fotoshootings – Condoriri die 22., Lamas im Vordergrund gefällig? – das Licht ist jetzt perfekt, wir können uns nicht sattsehen an der Schönheit der Landschaft und Berge ringsum. Um halb 11 Uhr sind wir schon wieder im Basecamp und erwarten Martin, der seinen „Ruhetag“ für eine Besteigung des Pico Austria genutzt hat. Wir genießen den hellen Sonnenschein und die Wärme. Die Tage hier sind einfach viel besser. (Andreas Wenner)
Nach leidlichem Auftanken unserer Kräfte und der diversen Kameraakkus in La Paz, nach einigen weiteren Tagen des Entdeckens dieses unglaublichen Boliviens (Titicacasee durch uns, die Weiten des Salar de Uyuni – des größten Salzsees der Welt – durch Familie Wenner) treffen wir uns wieder zum zweiten Streich unseres Bergabenteuers in den Anden. Jetzt sollte es mit dem Huyana Potosi an und über die magische 6000 Meter Höhe gehen. Bolivien ist ja das Land mit den am leichtesten zu erreichenden hohen Bergen der Welt. Die Infrastruktur in Form von gut arbeitenden Agenturen, Bergführern und oft privat errichteten und gewarteten Hütten ist wirklich gut. Der Ausgangspunkt unserer geplanten Besteigung, der Passo Zongo, ist von La Paz mit dem Kleinbus in wenigen Stunden erreichbar. Wieder begleiten uns unsere Führer Lochio und Romario. Diesmal haben wir sogar einen festen Stützpunkt in Form einer reizenden Hütte, des Campo alto Roca auf 5130 m. Bergsteiger aus aller Herren Länder versammeln sich hier, um am nächsten Tag den Gipfel zu versuchen, Andi, Felix und ich teilen nach relativ gemütlichem Zustieg ein Matratzenlager mit Franzosen, Argentiniern, Venezuelanern und den üblichen Verdächtigen: Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit kämpfen miteinander um den Tagessieg.
Der nächste Morgen – oder vielmehr dieselbe Nacht um halb zwei Uhr sieht uns wieder keuchend steile Schneehänge hinaufstapfen. Abwechslung schafft eine kurze aber deftige Stelle im steilen Eis, ehe wir nach etlichen Stunden wieder das unglaubliche Schauspiel des Sonnenaufganges in den Anden bewundern dürfen. Wiederum haut uns das Andenpanorama fast von den Socken, das hier umso eindrucksvoller wirkt, da der Huyana Potosi ja vollkommen isoliert dasteht und nach allen Seiten den Blick freigibt. Ich bleibe denn auch recht oft stehen, offiziell um zu schauen, inoffiziell aber um nicht mehr gehen zu müssen. Die Schritte werden, da wir uns der 6000 Meter-Marke nähern, immer langsamer und kürzer. Schön langsam wird es nämlich wirklich anstrengend. Immer wieder kommen uns Bergsteiger von oben entgegen, die wegen Höhen- oder anderen Problemen umgedreht sind. In der Hütte hatte es geheißen, dass die Erfolgsquote am Hyuana Potosi ca. 20 Prozent beträgt. Irgendwann – eigentlich müssten wir jetzt langsam oben sein – eröffnet mir unser Guide Romario, dass wir nun schon die Hälfte geschafft hätten…
Der weitere Anstieg bietet keine großen technischen Schwierigkeiten, allerdings geht mir langsam wirklich der Dampf aus – die Option, auch umzudrehen, erscheint mir immer näherliegend. Romario merkt wohl, was in mir vorgeht, schließlich dreht er sich zu mir um und sagt nur ein einziges Wort: „Motivacion!“. Upps, da hat er den Nerv getroffen. Ich reiße mich zusammen, denke immer nur an den nächsten, kurzen Schritt, und siehe da, langsam geht es wieder weiter. Schon ist der schneidige Gipfelgrat zu sehen, den wir dann in kurzweiliger Kletterei recht rasch überwinden. Noch wenige Schritte, noch einmal kurz stehen bleiben und die Lungen mit Luft vollpumpen, und dann geht’s nicht mehr höher: Wir sind auf dem Gipfel des Huyana Potosi. Fertig, aber glücklich!
Wir genießen ausgiebig die unglaubliche Rundsicht, den Blick von La Paz bis weit in die Kordilleren, den rasanten Tiefblick in die steile Westwand, ehe wir uns an den Abstieg machen.
Kurz vor der Hütte – es gilt die Steigeisen abzulegen und noch einmal ca. 30 Meter zur Hütte aufzusteigen, verbringe ich etwa eine halbe Stunde regungslos sitzend und intensiv überlegend, mit welchem Steigeisen ich denn anfangen sollte, ehe ich mich zu einer relativ langsamen Bewegung entscheide…
Der Weg ins Tal schließlich ist ein Klacks. Wieder gilt der alte, aber selten zutreffendere Spruch des alten Innerkofler: „Hinunter s sell isch leicht, da helfen einem die Engelein“. Und diese hörte ich ganz gewaltig singen und jubilieren in der Freude über diese gelungene Bergtour. Denn was geblieben ist nach einigen Monaten Abstand, das ist nicht die Erinnerung an Plagerei und Schinderei, sondern die großen, prägenden Eindrücke, die diese Besteigungen in diesen unfassbar schönen bolivianischen Bergen im Kreis von lieben Menschen hinterlassen haben.
Martin Keeser/Andreas Wenner