Das liebe Wetter! Im vergangenen Sommer hat es wohl allen mehr oder weniger böse mitgespielt. Mal verhieß der Wetterbericht zum Wochenende eitel Sonnenschein, der dann gern von massiven Regengüssen getrübt wurde, mal sah eine garstige Vorhersage wackere Freisinger Bergsteiger bei blauem, aber alpinistisch ungenutztem Himmel in Freising verharren. Das Internet tat das Seinige dazu: Dank der Informationsflut des World Wide Web findet man mit Sicherheit den gerade passenden (oder meistens eben nicht passenden) Wetterfrosch…
Von zwei solcher Wochenenden soll hier berichtet werden, als uns das Wetter erst schlecht, dann richtig schlecht, aber schlussendlich doch gnädig mitgespielt hat.
„Jetzt mach ma wieder mal was g’scheides“
„Wenns’d meinst … Was’n g’scheides?“
„Also, wenn ich schon ins Gebirg nei fahr‘ und mich den Hatscher raufquäl‘, dann soll’s schon eine b’sondere Tour sein“
Sprach’s Ernst und fortan ward überlegt, was denn nun „was g’scheides“ sein könnte. Die erschwinglichen Kletterwege in Kaiser und Wetterstein sind ja nun schon weitgehend bekannt und abgehakt, andere Ziele für eine Wochenendfahrt in weiter Ferne, also wohin die begehrlichen Augen richten, wenn man schon so einen begnadeten Vorsteiger wie Ernest motiviert dabei hat?
Seine Vorgabe „Nix mit Bohrhaken, und nix was jeder macht, ein bisst Reiz muss schon dabei sein!“ lässt die wirklich interessanten Ziele einigermaßen zusammenschrumpfen, übrig bleibt da eigentlich nicht mehr viel. Irgendwann ist’s dann auch ausgesprochen, ob ich’s nun gern höre oder nicht:
„Dann mach mer halt die Pumprisse“.
Eieieiei.
Die „Pumprisse“. Eine Tour im Wilden Kaiser,  genauer gesagt am kompakten Abschluss der Fleischbank-Ostwand, dem Fleischbankpfeiler , Helmut Kiene und Reinhard Karl im Jahr 1977 das erste Mal begangen. Mit dieser Route, von den Erstbegehern mit VII bewertet, begann die Öffnung der offiziellen Schwierigkeitsgradbewertung über den Vl. Grad hinaus, der bis dahin für die „Grenze des Menschenmöglichen“ gehalten wurde. Mit Zustiegsseillängen über eine andere Tour ca. 11 Seillängen, drei davon im siebten Grad, alles weitgehend selbst abzusichern. In den letzten Jahren eher selten begangen.
Also kein Tänzeln von Bohrhaken zu Bohrhaken, immer in der Gewissheit, dass ohnehin nichts passieren kann, außer ein paar Abschürfungen oder eine Stauchung. Richtig ernst, also selbstverantwortlich soll die Tour sein, genauso, wie ich es, wie viele es wollen. Du weißt nicht, ob du rauf kommst, du kannst dich auf keine zwei Bolts am Stand verlassen, wie es im Notfall runter geht, ist auch äußerst unklar. Herrlich!
Ach du Sch…

Ein altes Topo – allerdings mit dem Brandlereinstieg

Das Beste, was dir mit so einer Tour passieren kann: Du hast einen Klassepartner, das Wetter passt, Trainingszustand auch, ihr fahrt rein und klettert da rauf, und damit hat sich’s. Gar nicht lang überlegen. Womit wir wieder am Anfang wären …Wir kamen wirklich früh aus Freising raus. Jawohl: Ernst und ich, wirklich früh. Auf dem Weg noch Zwischenstop in lsmaning gemacht und aus Marcs unverschlossenem Auto noch zwei kindskopfgroße Camalots (mit Erlaubnis!) requiriert. Wetterbericht bestens, gegen Abend eventuell Auffrischung. Am Irschenberg dann die ersten heftigeren Regenfälle. Griesner Alm: Wo war hier gleich noch mal der Wilde Kaiser? Trübe Nebelschwaden, es regnet wirklich sehr stark. Heut frischt’s mehr und mehr auf. Mit zwei Regenschirmen bewaffnet geht’s gen Steinerne Rinne, und wirklich, nach ein, zwei Stunden regnet’s nicht mehr gar so heftig. Wir können nun auch Berge, selbst die Risse am Fleischbankpfeiler erkennen. Leck, sind die nass! Das war’s denn dann für heute. Wandernd geht’s dann noch zum Elmauer Tor hoch und wieder hinunter. Dann halt nächstes Wochenende. Das blöde an zwei Wochenenden ist die Woche, die dazwischen liegt. Und vor allem, wenn die Woche angefüllt ist, mit allen nur denkbaren Visionen aller nur denkbaren Vorfälle, die die Tour am kommenden Wochenende beeinträchtigen könnten: „…da ist doch dieser ominöse Schlingenstand nach dem Al -Quergang. Wie is’n des, hängt man da an drei Klemmkeilen frei in der Luft? Und der Partner klettert die Schlüsselseillänge, nicht absicherbar, ins Freie hinaus, zehn Meter, zwanzig Meter, der bombt doch garantiert in den Stand rein, und ich häng da frei,  zweihundert Meter über’m Kar, Arsch in der Luft an zwei miesen Keilen, och nö, ich will nicht…“
Zur weiteren moralischen Absicherung gesellt sich Hias am nächsten Wochenende zu uns dazu. Diesmal ist der Wetterbericht absolut perfekt. Allenfalls ein paar Restwolken… Jetzt aber auf Nummer Sicher: Am Freitagnacht schon rein und dann richtig früh los, dann passt alles. Der Abend an der Griesner Alm lässt sich auch wirklich gut an, mit  den üblichen Zufallsbekanntschaften wird ein Bierchen getrunken, dann aber früh ab in den Schlafsack, morgen gilt’s echt!
Es hat dann in der Nacht sehr fest geregnet, grad so, dass wir es noch in den Bus geschafft haben, am Vormittag dann auch und durchgehend, wir sind dann wieder heimgefahren.
Jetzt langes mir aber auch von dem Ding, und insgeheim bin ich auch klammheimlich erleichtert: Wir haben’s zweimal probiert, hat nicht geklappt, prima, jetzt können wir ja wieder irgendwelche Fischzuchtplatten klettern! Oder Klettergeheimnisse! Oder Graspolsterplatten! Mit Bolts! Ohne Angst!
„Klingelingeling.“ Manche Menschen, Mütter z.B., erkennt man schon am Läuten des Telefons. Es nervt. Es ist Samstagabend, und ich weiß schon wer dran ist, und mir ist gar nicht wohl.
„Hei, hier ist der Ernste, morgen ist das Wetter echt gut, wie wär’s mi die Pumprisse?“
Jetzt ist wirklich alles wurscht. Ich hab zwar berufliche Termine, wichtige, aber was ist so wichtig, wie diese Tour? Ich weiß gar nicht mehr, ob ich sie eigentlich klettern will, ich weiß bloß, dass ich sie endlich loswerden will, also alles egal.
Der entscheidende Sonntagganzfrühammorgen findet uns wohlgeborgen und friedlich schlummernd im komfortablen Rester-Bus gen Tirol rauschend. Christian und Claudia wollen eine andere Tour am Pfeiler klettern und haben uns mitgenommen. Im Kaiser angekommen trauen wir unseren Augen kaum: das Wetter ist gut!
Am Einstieg das übliche Zeremoniell, Klamotten ordnen, Essen, Trinken verteilen, Ernste hängt sich Keile und Friends um, dass er aussieht wie ein Pfingstochs. Tiroler Kollegen empfehlen uns den „Rebitscheinstieg“ zu den Pumprissen, der ist nicht so technisch wie der „Brandlereinstieg“, ein guter Tip, wie wir später merken sollten… Außerdem kenne ich die „Rebitsch“ ja schon seit einer Begehung mit Christoph aus den achtziger Jahren. Und dann geht’s endlich rauf! Nach flacherem Beginn wird’s immer steiler, Ernst führt in seinem eigenen, ruhigen Stil die immer schwereren Rissseillängen hinauf. Über uns ist eine langsame Seilschaft beschäftigt, eine sehr langsame Seilschaft. Der Seilerste hat einige Friends von der Größe des klassischen Morgensterns, bekannt aus den Wallfahrten gen Jerusalem, an seinem Gurt befestigt, das beunruhigt uns. So eine Seilschaft kann eine die ganze Tour versauen! Gottseidank raubt ihnen der berühmt/berüchtigte Seilquergang der „Rebitsch“ anscheinend die Nerven, so dass sie abseilen J. Aber da müssen wir auch erst einmal rüber. Aha, da ist ja der berühmte Quergangs(normal)hakl, an dem sich seit Generationen alle Kletterer rüberseilen, immer hoffend, dass er nicht „kommt“. Ernste hat’s noch komfortabel, kann sich von oben gesichert, abseilen, unten dann die 6er-Stelle klettern und drüben den Riss wieder rauf. Ich hab auch noch akzeptable Redundanz, hangele mich am Seil, von E. gesichert, rüber. Tja, Hias, auf geht’s! Hias muss sich jetzt am zweiten verbliebenen Seil doppelt genommen an dem einen Haken ablassen. Wir über¬ schlagen kurz die größte zu erwartende Sturzhöhe (GAS, die nun mit jedem Meter zunimmt, die Hias sich ablässt), und lassen sie Hias natürlich wissen, ehe wir ihm das zweite Seil zuwerfen können . Der Mann ohne Nerven erbleicht nur unwesentlich. Schließlich finden wir uns alle wohlbehalten am Stand, wo sich die Rebitschroute und die Pumprisse trennen.
Schön wäre jetzt ein Deus ex Machina, ein Götterbote, eine Hermes Trismegistus, ein irgendwas, welcher uns die nun fast heimelig hersehenden Rebitschrisse hinaufbefehlen würde. Ein falsches Wort würde ähnliches bewirken, also halte ich die Klappe bis auf: „Magst es wirklich probieren?“ und schon verschwindet Ernste ums Eck in den berüchtigten A1-Quergang hinein zum schlafraubenden 1-2-Keileschlingestand. Das Seil ruckelt langsam hinüber, ich beginne, wie immer, in mich zu gehen, was denn ein knapp 50jähriger, eigentlich eher unsportlicher Musiker an solch lebensfeindlichen Plätzen überhaupt zu suchen hat, als ein fast fröhliches „Stand“ von drüben mich aus meinen existentialistischen Gedanken ruft. Das klang ja schon ganz gut und so raufe ich mich die nächsten 15 Meter an eher bescheidenem Hakengut zum gefürchteten Schlingenstand empor. Und der ist ja gar nicht so schlecht! Was der menschliche Geist mit oder ohne Hammergewalt in den Fels hineinzuwürgen vermag, ist hier versammelt, der Uralthex der Erstbegeher nebst zweier Haken, unzählige Sanduhren und etliche, überall rumgewickelter Schlingen, all das veranlasst mich, meinen Hintern in Ruhe und fidel 150 Meter über dem Kar locker schwingen zu lassen. Ist ja gar nicht so schlimm!

Ernst in der vorletzten Seillänge

Konzentriert geht Ernst nun die folgende Schlüsselseil-länge, den sogenannten „Hundebahnhof“ an. Es braucht schon Nerven, hier in einen unbekannten, unangenehm weiten Schulterriss durchzustarten. Und der ist wirklich steil, also überhängend! Es stecken zwar anfangs zwei, eher miese Haken, aber runterfallen muss er hier echt nicht. Die Hasensteinschen Camelots erweisen sich in dem sonst kaum absicherbaren Riss als sehr hilfreich. Und locker und geschmeidig zieht Er Der Niemals Klavier Üben Wollte die Länge durch. Nachkletternd kann ich nur in Gedanken meinen Hut vor ihm, aber auch vor den den Erstbegehern ziehen, die diesen Riss ohne Friends, nur mit Hexentrics frei geklettert sind. Bei so einer Tour relativiert sich doch einiges …

Das noch gar nicht volle Wandbuch

Die nächsten zwei Seillängen bieten fast schon Kaiser-„Genusseillängen“, nicht zu schwer, gut abzusichern, ehe es zu den beiden Abschlussrissseillängen geht.
Joi, schaut der Riss ungemütlich aus! Faustbreit zieht er ziemlich weit raus- und überhängend empor. Mit aufrichtiger Freude präsentieren Hias und ich Ernst das scharfe Seillende, auf dass er walte. Und wie er waltet! Zwei Fäuste tief in die Eingeweide des Risses verklemmt, die Haxen fast zum Spagat ausgefahren pumpt er sich wie eine Maikäfer Zentimeter für Zentimeter, Meter für Meter den Riss empor, und wir herunten wissen nun auch, woher der Name der Rose kommt: „Pumprisse“ pur heißt es in den letzten beiden Längen, und wir Nachsteiger kommen auch ganz schön .ins Schnaufen! Stolz tragen wir uns in das Wandbuch ein: die erste Begehung in diesem Sommer, letztes Jahr waren es zwei Seilschaften, die Jahre davor auch nicht viel mehr.

Ziemlich happy am Gipfel

Es ist schon spät geworden, langsam kriechen die Abendschatten über den Predigtstuhl gegen uns herüber. Hias merkt kleinlaut an, dass er um 8 zum Grillen mit Freundin und Nachbarn muss, erntet um halb 8 am Pfeilergipfel aufrichtig schadenfrohes Gelächter, gibt sich drein und die gesamte Mannschaft fährt glücklich und zufrieden die Abseilpiste gen Norden hinunter. Unten am Bus erwarten uns Claudia und Röscht stilvoll mit Prosecco in edlen Sektgläsern: wie die klingen, nach einer solchen Tour!